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„Das Recht auf Freiheit ist die Krönung einer langen Entwicklung“

© picture alliance / Georg Brock

Von Philipp Schnlender


Zum 125. Geburtstag von Br. Thomas Dehler

Als Bruderschaft, die in Deutschland seit über 285 Jahren besteht, haben wir über die Jahrzehnte doch auch den einen oder anderen Mann von herausgehobener, allgemeiner Bedeutung unserer Weltbruderkette zugehörig nennen dürfen.
Thomas Dehler gehört zweifellos dazu. Der erste Justizminister der Bundesrepublik Deutschland gilt als einer der Väter des Grundgesetzes. Er war auch Mitbegründer der Freien Demokratischen Partei (FDP), der ich vor einigen Jahren ebenfalls beitrat. Über den politischen Werdegang Thomas Dehlers gibt es freilich viel zu nachzulesen. Mich hat vielmehr interessiert, welche Spuren Dehler als Freimaurer hinterlassen hat.

Thomas Dehler wurde am 14. Dezember 1897 als Sohn eines Gastwirts und Metzgers in Lichtenfels geboren, einer kleinen Stadt in Franken, am Main zwischen Coburg und Bamberg gelegen. Er besuchte zunächst die Realschule und trat 1911 in das Königliche Alte Gymnasium Bamberg ein. Nach dem Abitur 1916 nahm Dehler als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. Aufgrund einer Erkrankung wurde er im selben Jahr wieder freigestellt und durfte in München mit dem Studium beginnen. Nach einigen Semestern Medizinstudium, das er nach kurzer Zeit abbrach, studierte er Rechts- und Staatswissenschaften in München, Freiburg und Würzburg. In Würzburg wurde er 1920 mit der Arbeit „Die Begründung des Strafurteils“ 23-jährig zum Doktor der Rechte promoviert und arbeitete anschließend als Rechtsanwalt in München und Bamberg.

Vater des Grundgesetzes

Seit 1920 war Dehler Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei und Mitbegründer des demokratischen Bundes „Der Reichsadler“. Seit 1925 war er mit der Jüdin Irma Frank verheiratet. Ab Mitte der 30er-Jahre engagierte Dehler sich in der Robinsohn-Strassmann-Gruppe, eine der wenigen über einen längeren Zeitraum existierenden Widerstandsbewegungen gegen den Nationalsozialismus. Während des Zweiten Weltkrieges hielt Dehler zu seiner jüdischen Frau und ebenso zu seinen jüdischen Mandanten. Dies war der Grund dafür, dass Dehler nur neun Monate als Soldat eingesetzt und danach als wehruntauglich eingestuft wurde. Er musste schlussendlich Zwangsarbeit bei der „Organisation Todt“ ableisten, einer paramilitärischen Bautruppe, die unter anderem den Altantikwall und Luftschutzanlagen baute.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er 1945 von der US- Militärregierung als Landrat von Bamberg eingesetzt. Von 1945 bis 1947 arbeitete er als Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht Bamberg, von 1947 bis 1949 als dessen Präsident. Er gehörte zu den Gründern der FDP. Im ersten Kabinett von Kanzler Adenauer war Dehler als Bundesminister der Justiz beschäftigt und maßgeblich an der Verfassung des Grundgesetzes beteiligt. Er gilt als einer der Väter unseres Grundgesetzes und es ist mit Sicherheit das Wichtigste, was er der Nachwelt hinterlassen hat. Ich möchte an dieser Stelle schon einen Absatz aus Dehlers Festrede im öffentlichen Teil zum 225-jährigen Jubiläum der Loge „Absalom zu den drei Nesseln“ in Hamburg etwas verkürzt zitieren: „Unser Grundgesetz — ich habe daran mitwirken dürfen — ist bestimmt durch die Freiheit, durch die vom Rechte gesicherten Freiheiten. Sie stehen an der Spitze des Grundgesetzes …. Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt … Aber der Staat, die Gemeinschaft kann dem Einzelnen nicht mehr geben als die Möglichkeit, in seinem Sinne zu leben, kann ihm nur geben, das Glück der eigenen Entscheidung zu haben. Er kann und darf ihm nicht die Inhalte seines Lebens, seine persönlichen Werte, die seiner menschlichen Bindungen, seiner Gemeinschaften oder gar seiner Ewigkeitsentscheidungen vermitteln oder vorschreiben wollen. Es wäre ein Unglück … Wir wissen, wie schwer wir es haben mit der Freiheit. …. Herder hat einmal gesagt, Deutschland sei ein Land des Gehorsams … Der Wille der deutschen Menschen zur Freiheit, zur Eigenverantwortung ist geringer entwickelt als etwa … bei den Amerikanern, deren Pioniergeist noch nachwirkt und sich auf freie Haltung, auf persönliche Leistung gründet … Man muss nur die Gefahr wissen und anerkennen, dass wir mehr für die Freiheit tun müssen als andere.“

1960 übernahm Dehler das Amt des Bundestagsvizepräsidenten von Br. Max Becker und hatte es bis zu seinem Tod im Jahre 1967 inne. Er verstarb am 21. Juli in Streitberg nach einem Herzversagen. Mit einem Staatsbegräbnis wurde er am 25. Juli 1967 in seiner Heimatstadt Lichtenfels in Oberfranken beigesetzt.

Willy Brandt, damaliger Minister des Auswärtigen, hielt die Laudatio auf Dehler. Er sagte, Dehler sei ein ehrlicher und leidenschaftlicher Patriot gewesen. Nach ihm wurden die Bundeszentrale der FDP (ehemals Thomas-Dehler-Haus, heute Hans-Dietrich-Genscher-Haus) und die parteinahe Stiftung in Bayern (Thomas-Dehler-Stiftung) benannt. Thomas Dehler verfolgte in seinem Handeln und seiner Politik immer das Ziel eines gemeinsamen, wiedervereinten Deutschlands — ein elementarer Punkt, in dem er mit Konrad Adenauer nicht einig war.

Das freimaurerische Wirken Dehlers

Thomas Dehler wurde am 13. November 1926 in die Loge „Zur Verbrüderung an der Regnitz“ in Bamberg aufgenommen. Drei Jahre später wurde er zum Meister erhoben. Die Loge musste 1933 aufgelöst werden. Er und 16 weitere Brüder beteiligten sich direkt nach dem Krieg an der Wiedererrichtung der Bamberger Bauhütte und setzten sich für die Rückgabe des enteigneten Logenhauses ein. Die erste Sitzung fand am 15. Dezember 1945 statt. Zwei Jahre später erhielt die Loge von der amerikanischen Besatzungsmacht die offizielle Lizenz. Gemeinsam mit Br. Theodor Vogel setzte Br. Dehler sich für die Wiederbelebung der Freimaurerei in Deutschland ein. Theodor Vogel schrieb:

„Dann saß ich ihm in den Räumen des Generalstaatsanwaltes in München gegenüber und handelte mit ihm darum, wie wir dem Misstrauen der Besatzungsmacht begegnen, verfolgten Brüdern helfen und uns selber wieder in unseren Häusern Heimat und Feierstunde schaffen könnten.“

Dehlers tatkräftiger Mitwirkung ist es zu verdanken, dass die Großloge „Zur Sonne“ in Bayreuth 1946 als erste der alten deutschen Großlogen Anerkennung, Recht und Genehmigung zur Wiederaufnahme ihrer maurerischen Arbeit fand. Br. Dehler fungierte als Redner der Großloge. In seinem Artikel „Begegnungen mit Thomas Dehler“ schreibt Theodor Vogel: „Also hielt er bei jenem ersten Großlogentag nach der Zeit des dritten Reiches im Logensaal zu Erlangen — der, als eine der seltsamen Ironien der Geschichte, uns Heimat sein konnte, weil der altehrwürdigen Loge ‚Libanon zu den drei Cedern‘ als Freimaurermuseum der Machthaber ihr Eigentum erhalten blieb — die Zeichnung. Aber was er sagte und handelte, war mehr als Zeichnung und Rede, war glühendes Bekenntnis zu unvergänglichen Weisheiten unserer Welt, Fanal und Losung für den neuen Beginn. Unvergessen seine Worte, die mir noch heute in den Ohren klingen: ‚ … immer haben wir die Freiheit gewollt und ihr gedient, aber nie haben wir sie so begehrt und über alle Maßen geliebt als in den Zeiten, in denen sie bedroht gewesen ist. … ‘“

Der Konstituierung der Vereinigten Großloge (heute AFuAM von Deutschland) 1949 konnte der damalige Bundesjustizminister nicht beiwohnen. Er war es jedoch, der beim ersten Großlogentag in Bad Ems als Repräsentant der jungen Bundesrepublik das Gelöbnis und Bekenntnis der deutschen Freimaurer, dem Staat und seiner Verfassung zu dienen, abnahm. Für die Anerkennung der neuen Großloge in den Vereinigten Staaten nutzte Dehler auch seinen politischen Einfluss. So vermittelte er ein Gespräch zwischen Theodor Vogel und Konrad Adenauer vor dessen Reise in die USA. Dehler unterstütze Vogel bei der Gründung der Vereinigten Großlogen von Deutschland (VGLvD). Die beiden hatten sich gegenseitig versprochen und gemeinsam vorgenommen, „der Bruderschaft die eine Große Loge zu schenken und dieser wiederum die Anerkennung in der Welt“. In einem Absatz in „Mehr Mut — ein letztes Gespräch mit Thomas Dehler“ von Br. Jürgen Diener heißt es:

„Dehlers Rezept für die Situation der Vereinigten Großlogen: Nach außen hin ein geschlossener Block, nach innen hin viel offener, toleranter und ohne Tabus in den Gesprächen. Vor allen Dingen müsse die Bruderschaft wieder lernen, öffentlich Stellung zu beziehen … Man müsse Jugendgruppen unterstützen, die nicht am parteipolitischen oder konfessionellen Gängelband gehen wollen. Vor allen Dingen müssten aber alle Kräfte und alle Geldmittel der Großen Landeslogen für die Vereinigten Großlogen mobilisiert werden, damit Größeres geschaffen werden könne. In praktischen Aufgaben müssten alle zusammenstehen unbeschadet der einzelnen Systeme, die durchaus Ihre Eigenständigkeit bewahren könnten, ja bewahren müssten … “

„Das ganze Menschsein ist bedroht, wenn die Freiheit gefährdet ist.“

Als Bundestagsvizepräsident und Bruder war es ihm vergönnt, eine der Reden im öffentlichen Teil des 225-jährigen Jubiläums der Loge „Absalom zu den drei Nesseln“ in Hamburg zu halten. In seinem Vortrag mit dem Titel „Von der Freiheit“ sagte er:
„Die Magna Carta Libertatum vom 15. Juni 1215 war der erste Ausdruck der Freiheitsrechte in Europa. … Am Beginn … standen die gewachsenen Rechte der Genossen in der Gemeinschaft: … es wurden zum ersten Mal Grundrechte umschrieben: Schutz der Person und ihrer Freiheiten, Schutz des Eigentums, Schutz der Freizügigkeit, der gesetzliche Richter. … Dies sind Meilensteine auf dem Wege des Kampfes um die Wiederherstellung der ursprünglichen Menschenrechte, der persönlichen Freiheit, der Gewissensfreiheit, der Toleranz.“

Etwas weiter vorn in dem Vortrag heißt es dazu:

„Das Wesen des Menschen ist bestimmt durch sein Verhältnis zur Freiheit im geistigen, im menschlichen, im politischen, im wirtschaftlichen, im sozialen Bereich. Das ganze Menschsein ist bedroht, wenn die Freiheit gefährdet ist.“
Eine für mich persönlich sehr bedeutungsvolle Stelle in unserem Ritual des ersten Grades ist der Satz: „Das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ Hierzu passt eine dritte Passage aus Dehlers Vortrag:

„Die Aufgabe des wahren Rechtes ist durch die Jahrtausende bis in unsere industrialisierte und technisierte Zeit die Gleiche geblieben: dem Menschen die Freiheit zu geben, er selbst sein zu können, seine eigene Sphäre, seine Würde, sein Persönlichstes zu wahren. Dieses Recht ist die Krönung einer langen Entwicklung.“

… ich trage es im Herzen!

Betrachte ich die Informationen zu Thomas Dehlers politischem und freimaurerischem Wirken, muss ich wirklich zugeben, dass ich beeindruckt bin, denn Thomas Dehler war ein Vorbild im Privaten, im Politischen und auch im Freimaurerischen.
Er hat seine Ehe und seine Familie über den Krieg gerettet. Er hat seine innere Einstellung zu Freiheit, Recht, Ehrlichkeit, Wahrheit und Menschenwürde im Herzen getragen und danach gelebt. Sein innerer Kompass hat ihn auch in seinem Beruf als Rechtsanwalt, Richter und Minister geleitet. Ihm ist es maßgeblich zu verdanken, dass wir heute ein Grundgesetz haben, das den Bürgern unseres Landes eigenverantwortliches Handeln und damit Freiheit und Selbstbestimmung ermöglicht. Er ist vor dem Zweiten Weltkrieg in die Freimaurerei aufgenommen worden, hat die Auflösung der Freimaurerei erlebt und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs tatkräftig und an entscheidenden Stellen an ihrem Wiederaufleben mitgewirkt. Wie vor dem Krieg hat er auch nach dem Krieg kein Geheimnis aus seiner Mitgliedschaft in der Freimaurerei gemacht. Im Vorwort seines Artikels über Thomas Dehler schrieb Theodor Vogel:

„So unerschrocken wie Thomas Dehler sich immer und zu jeder Zeit für Menschenwürde, Recht und Freiheit eingesetzt hat, hat er sich auch stets zu seinem Freimaurertum bekannt.“
Er hat die „Großloge zur Sonne“ wiederbelebt und daran mitgewirkt, die Großloge AFuAMvD auf den Weg zu bringen und — schlussendlich — sein Versprechen eingelöst, der deutschen Freimaurerei eine anerkannte Großloge zu schenken.

Eine in der Zeitschrift „Die weiße Lilie“ veröffentlichte Anekdote beschreibt Dehlers Einstellung sehr gut:

Um ein Gespräch in Gang zu bringen, fragte ihn ein Reporter, ob er denn auch wie manche viel zitierte Politiker in diesen schweren Tagen immer das Grundgesetz unter dem Arm trage. Br. Dehler antwortete kurz, aber treffend: „Nein, ich trage es im Herzen!“
Ich bin mir sicher, Br. Thomas Dehler trug nicht nur das Grundgesetz im Herzen, sondern auch die Freimaurerei. Wenn es eine sinnvolle Art und Weise gibt, wie freimaurerische Werte auch politisch und gesellschaftlich wirksam werden, dann ist es die von Thomas Dehler. Ich wünschte mir heute mehr Menschen in herausgehobenen Positionen wie ihn, die sich offen zur Freimaurerei bekennen, die Politik nach Werten und aus ihrer Haltung heraus gestalten.

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 6-2022 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.