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Freimaurerische Landschaftsgärten in Frankreich

Von Siegfried Schildmacher

Teil 4: Der Landschaftspark „Jean Jacques Rousseau“ in Ermenonville

Dieser berühmte Landschaftspark Frankreichs liegt 25 Kilometer nordöstlich von Paris und 15 Kilometer entfernt von Senlis, einer Kleinstadt an der Autobahn A 1. Der Park hieß früher „Parc d’Ermenonville“ und wurde vor ein paar Jahren umbenannt in „Parc Jean Jacques Rousseau“, weil der Philosoph vom 20. Mai bis zu seinem Tod am 3. Juli 1778 auf Einladung des Schloss- und Garteneigentümers, des Marquis René Louis de Girardin, hier lebte. Rousseau wurde auf einer Insel (Île des peupliers — Insel der Pappeln) im See des Parks begraben. Der Maler Hubert Robert schuf den Stein für die Grabstätte. Dieses Arrangement wurde oft kopiert, so z.  B. im Wörlitzer Landschaftsgarten.

1794 wurden die sterblichen Überreste von Jean Jacques Rousseau wieder ausgegraben und von einer großen Schar von Revolutionären von der Insel abgeholt und in das Panthéon in Paris, die französische Ruhmeshalle, überführt. Dort liegt der Philosoph seitdem direkt neben seinem Todfeind Voltaire.
Durch die Umbenennung des Parks ist der Schöpfer des Gartens, der Marquis de Girardin, etwas in den Hintergrund gerückt, obwohl er eine vielbeachtete Theorie des Landschaftsgartens geschrieben hat: „De la composition des paysages“, erschienen 1777 in Genf. Zudem war er ein Freund Rousseaus und Mitherausgeber von dessen Gesamtwerk. 1762 hatte er das Gut „Ermenonville“ von seinem Großvater geerbt. Auf einer Reise nach England im Jahre 1772 begeisterte er sich besonders für den Garten „The Leesowes“ (Raues Weideland) des Dichters William Shenstone in der englischen Grafschaft Shropshire in den West Midlands. Ein Modell, das seinen hohen und wohl manchmal auch rigiden moralischen Ansprüchen gerecht wurde und seinen Vorstellungen von der Einfachheit des Landlebens nahekam. Für die Umgestaltungsarbeiten ab 1773 ließ Girardin zweihundert Engländer kommen und beschäftigte einen schottischen Gärtner. 1776 war der Ausbau des Gartens weitgehend abgeschlossen. Fast im gleichen Zeitraum wurde übrigens auch der Hinübersche Garten in Hannover geschaffen.

Der „Parc d’Ermenonville“ ist im Tal des kleinen Flüsschens Launette angelegt worden. Der Fluss wurde aufgestaut und speist einen relativ großen See. Den Rundgang beginnt man am besten am Kassenhaus des Gartens und überquert nach einigen hundert Metern den Fluss und den See.

Vor der Brücke befindet sich die Grotte der Flussnymphen. Eine Grotte ist in vielen Freimaurergärten vorhanden, denn sie ist ein Symbol dafür, dass man beim Verlassen der Grotte von der Dunkelheit zum Licht strebt, was symbolisch gleichgesetzt wird mit dem Aufstieg zur Erkenntnis.

Wie bedeutend der Garten zur damaligen Zeit war, erkennt man auch daran, dass die französische Königin Marie Antoinette, die eine Anhängerin der Rousseau‘schen Philosophie war, den Garten im Frühjahr 1780 besuchte. Eine Bank in der Nähe der Brücke erinnert daran. Die Philosophie Rousseaus, die mit der „Volonté générale“, dem Volkswillen, unkontrollierte Macht dem Volk gab, führte zur Terrorherrschaft im Zuge der Französischen Revolution, der letztlich auch die Königin zum Opfer fiel. Der Landschaftspark hatte im 18. Jahrhundert auch weitere hohe Besucher: König Gustav III. von Schweden und Kaiser Joseph II. etwa.

Wenn der Besucher dem Weg weiter folgt, kommt er nördlich der Rousseau-Insel zu der Arkadienwiese. In der griechischen Mythologie steht Arkadien für ein paradiesartiges Land, in dem die Bewohner ein einfaches und glückliches Leben führen. Auf dieser Wiese durften die Bauern ihr Vieh weiden lassen. Zu dieser Zeit durchaus eine großzügige Einstellung, die der Freimaurer Girardin hier an den Tag legte.

Im Park selbst ließ er eine Reihe von freimaurerisch bedeutsamen Architekturen aufstellen, wobei der „Tempel der neuen Philosophie“ am eindrucksvollsten ist.

Die sechs Säulen des Tempels tragen die Namen der Philosophen Newton, Descartes, Voltaire, Rousseau, Montesquieu und Pen. Über dem Eingang des Tempels steht ein Vergil-Zitat: „Rerum cognoscere causas“ — „Die Ursachen der Dinge erkennen“.

Der Rundgang führt weiter zum „Altar der Träumerei“ (Autel de reverie), der einen wunderbaren Blick auf den See ermöglicht, der zum Träumen einlädt und an dem Rousseau oft gestanden haben soll. Der Altar erinnert aber auch an das letzte Werk Rousseaus, „Die Träumereien des einsamen Spaziergängers“, das 1776 erschienen ist, zwei Jahre vor seinem Tod.

Der Turm, der oberhalb des Altars zu finden ist, könnte als typischer Staffagebau eines freimaurerischen Gartens angesehen werden. Der Bau stammt aber vom Ende des 19. Jahrhunderts und hat somit keine freimaurerische Bedeutung. Ein weiterer Staffagebau des Parks sind die sogenannten „Dolmen“. Dieser Ausdruck wird in Frankreich für Hünengräber verwendet. Die Steine dieses Grabes stammen allerdings aus den benachbarten Sandsteinbrüchen. Normalerweise sind die Steine der echten Hünengräber aus Granit. Aus freimaurerischer Sicht sind diese Gräber ein symbolisches „Memento mori“ (Denk an den Tod).

Das Schloss des Marquis de Girardin befindet sich heute außerhalb des Parks und wird durch eine vielbefahrene Straße von ihm getrennt. Es wird inzwischen als Hotel genutzt

Der Garten „Jean Jaques Rousseau“ gehört zu den frühesten englischen Landschaftsgärten in Frankreich und hat wiederum viele später gestaltete Parks inspiriert. Überhaupt wird er als ein entscheidender Schritt zur Einführung des englischen Gartenstils auf dem Kontinent angesehen. Sein Vorbild findet er im Landschaftspark von Stourhead. Im Gegensatz zu den rational konstruierten Barockgärten liegt den englischen Gärten eine Art „Bildungsprogramm“ zugrunde, das durch eine tiefe Symbolik inszeniert wird. Dabei sind diese Gärten vor allem auch der Natur verpflichtet und befördern eine romantische Stimmung beim Besucher. Es wird in ihnen auf künstliche Art etwas vermeintlich Natürliches gestaltet. Ein Widerspruch im Übrigen zu Rousseaus philosophischem Ideal.

Der nach ihm benannte Park bei Paris gehört jedoch zum Pflichtprogramm bei einer solchen Reise durch die freimaurerischen Gärten Frankreichs. Die symbolischen Elemente sind allerdings weniger sichtbar als in anderen, vergleichbaren Gärten. Ein schweres Unwetter hatte ihn bereits 1787 teilweise verwüstet und im Zuge der Revolution verfiel der Park weiterhin und spätere Besitzer nahmen weitreichende Veränderungen an ihm vor. 1985 hat der Conseil Général des Departements Oise den Park erworben und ist auch für dessen Unterhaltung zuständig.

Mit diesem Beitrag endet unsere Serie über freimaurerische Landschaftsparks in Frankreich. Auf dieser Reise wurden von Br. Siegfried Schildmacher exemplarisch sehr unterschiedliche Gärten besichtigt. Es gibt aber noch viele weitere freimaurerische Landschaftsgärten in der „Ile de France“, also in der näheren Umgebung von Paris. Als Beispiele werden hier genannt: „Chateau et Parc de Méréville“, „Parc de Jeurre“ und der „Parc de Groussay“, die die Parks in England teilweise kopieren, d.h. die englischen Staffagebauten übernommen haben, jedoch wenig neue Ideen einbringen. Zur Vorbereitung einer Logenreise eignet sich vorzüglich das Buch von Frank Maier-Solgk: „Die schönsten Gärten und Parks in Paris und der Ile de France“.

Diese Beiträge der Reihe sind in der „Humanität“ erschienen:
Nr. 3/2022: Der Park „Désert de Retz“ in Chambourcy
Nr. 4/2022: Der „Parc de Bagatelle“ in Paris
Nr. 5/2022: Der Landschaftspark „Monceau“ in Paris
Nr. 6/2022: Der Landschaftspark „Jean Jacques Rousseau“ in Ermenonville

Dieser Beitrag stammt aus dem Heft 6-2022 der HUMANITÄT, dem deutschen Freimaurer-Magazin. Das Heft kann bei der Kanzlei abonniert werden.